Keine Vertragsstrafe bei Way Back machine

Nimrod Rechtsanwälte sind stark im Bereich des Fotorechts oder “Recht des Fotoklau” aktiv. Im Rahmen dieser Fälle stellt sich nach der Abgabe einer annehmbaren Unterlassungserklärung immer wieder die Frage, ob gegen diese verstoßen wurde, wenn die Rechtsverletzung noch auf der sog. waybackback machine zu finden ist. Die wayback machine ist mit einem Archiv von Internetseiten vergleichbar. In der Wikipedia heißt es: “Das Internet Archive in San Francisco ist ein gemeinnütziges Projekt, das 1996 von Brewster Kahle gegründet wurde und seit 2007 den offiziellen Status einer Bibliothek hat. Gestartet wurde es als reines Webarchiv, bei dem man mit der sogenannten Wayback Machine archivierte Websites betrachten kann. Schon von 1999 an wurde es um weitere Archive erweitert, so dass sie nunmehr eine digitale Bibliothek ist, die bedeutende Sammlungen von Texten und Büchern, Audiodateien, Videos, Bildern und Software umfasst. Das Internet Archive hat sich die Langzeitarchivierung digitaler Daten in frei zugänglicher Form zur Aufgabe gemacht und legt dabei auch Wert auf Zugangsmöglichkeiten für blinde oder anders eingeschränkte Nutzer.” (Quelle: Wikipedia).

In dem konkreten Fall wurde nun die Rechtsverletzung nach Abgabe der Unterlassungserklärung die Rechtsverletzung auf eben diesem Archiv gefunden. Konkret:

Die Parteien sind beide – jedenfalls unter anderem – im Online-Marketing für Anwaltskanzleien tätig. Im Rahmen einer vor dem Landgericht Wiesbaden erhobenen Widerklage, die dort abgetrennt
und an das Landgericht Karlsruhe verwiesen wurde, erstrebt die hiesige Klägerin die Zahlung einer Vertragsstrafe.
Mit Anwaltsschreiben vom 17.03.2021 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, es werde „an
mehreren Stellen im Internet mit jahrelanger Markterfahrung“ geworben, obwohl das Unternehmen der Beklagten erst erstmals in das Handelsregister eingetragen wurde. Als „Beispiel“ führte die Klägerin die Formulierung auf der Homepage der Beklagten an:
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Die Beklagte übermittelte mit Anwaltsschreiben vom 31.03.2021 (WK1) eine strafbewehrte Unterlassungserklärung, wonach sie sich verpflichtete,

  1. es zukünftig zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mit „12 Jahre Erfahrung im Kanzleimarketing” zu werben, solange
    das Unternehmen der Unterlassungsschuldnerin weniger als 12 Jahre am Markt tätig
    war, wenn dies geschieht, wie unter https://www. g und nachfolgend abgebildet:
    [obiger Text wie auf der Homepage formatiert]
  2. für den Fall der künftigen schuldhaften Zuwiderhandlung gegen vorstehende Ziffer 1.
    eine Vertragsstrafe an die Unterlassungsgläubigerin zu zahlen, deren Höhe vorn Unterlassungsgläubiger nach billigem Ermessen bestimmt und im Streitfall auf Betreiben der Unterlassungsschuldnerin durch das zuständige Amts- oder Landgericht auf Angemessenheit überprüft werden kann.

Die Klägerin antworte durch ihre Anwälte rund anderthalb Jahre später am 21.09.2022 und nahm
die Unterlassungserklärung an (WK2).
Unter der URL web.archive.org/…, der sog. „Wayback Machine“, die von einer US-amerikanischen Non-profit-organization betrieben wird, ist die genannte Werbung der Beklagten unter dem
Datum 27.11.2020 und dem Datum 03.02.2021 weiterhin abrufbar (WK3).
Die Klägerin ist der Auffassung, die Parteien seien über einen Unterlassungsvertrag verbunden.
Die Vertragsstrafe sei in eingeklagter Höhe verwirkt, weil die Beklagte es unterlassen habe, die
Einträge ihrer Webseite mit der zu unterlassenden Werbung aus der Wayback Machine entfernen zu lassen.

Das LG Karlsruhe entschied nun:

An der Eignung, über den Einfluss auf geschäftliche Entscheidungen von Marktteilnehmern
den Absatz der Dienstleistung der Beklagten positiv zu beeinflussen, fehlt es bei dem hier in Rede stehenden Verhalten. Die Nichtverhinderung der bloßen Abrufbarkeit der ursprünglichen Werbung unter den gegebenen Umständen stellt keine geschäftliche (Werbe-)Handlung dar. Maßgeblich ist dabei der Charakter der Wayback Machine als Archiv, das zudem nach unstreitig gebliebenem Vortrag keine eigene Suchfunktion aufweist und durch übliche Suchmaschinen nicht durchsucht werden kann. Es ist – was das internetaffine Gericht selbst beurteilen kann und darf nach menschlichem Ermessen so gut wie ausgeschlossen, dass die Beklagte Kunden dadurch gewinnt, dass die (längst von der Homepage gelöschten und über Suchmaschinen unauffindbaren) alten Versionen ihrer Homepage zur Kenntnis und zum Anlass genommen werden, mit der Beklagten geschäftlich in Kontakt zu treten. Dabei kommt es nicht darauf, dass – wie anzunehmen ist – ein kleiner Teil der potentiellen Kunden der Beklagten die Wayback Machine kennen und

gelegentlich nutzen mag. Entscheidend ist vielmehr, dass eine solche Nutzung kein denkbarer
Kanal zur Absatzförderung ist. Dies liegt schon daran, dass man entweder wissen muss, auf
welchem zeitlichen Stand die Webpräsenz der Beklagten die fraglichen Werbeaussagen enthielt,
oder zufällig darauf stoßen muss. Für eine solche gezielte oder beiläufige „Recherche“ in dem
genannten Internet-Archiv besteht indes für potentielle Kunden der Beklagten keinerlei Anlass. Der
Werbeeffekt könnte hier nur dadurch eintreten, dass Marktteilnehmer zufällig oder aus völlig anderen Interessen heraus auf eine aus dem Netz genommene und von Dritten (unveranlasst) archivierte Seite stoßen. Dies stellt keinen unmittelbaren und objektiven Marktbezug dar. Zu Recht hebt
die Beklagte auch hervor, dass für einen Rezipienten, der gezielt nach einer Archivversion der
Webseite der Beklagten sucht oder (so ist zu ergänzen) zufällig darauf stößt, völlig unzweifelhaft
ist, dass es sich hierbei nicht um eine aktuelle Selbstdarstellung des Unternehmens handelt. Damit scheiden Internet-Archive als Ort werblicher Maßnahmen in aller Regel – so auch hier – aus

Hiergegen kann die Klägerin nicht einwenden, dass – was im Ansatz zutreffend ist – die Erfüllung der hier eingegangenen Unterlassungsverpflichtung davon abhängig ist, dass zunächst die
Quelle fortdauernder Störungen beseitigt werden muss, sodass die Beseitigung quasi notwendige Voraussetzung der Unterlassung ist und als deren Teilaspekt erscheint. Der Schuldner muss
alle ihm im Einzelfall zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um künftige Zuwiderhandlungen
zu verhindern (BGH, GRUR 2018, 1183 Rn. 9 – Wirbel um Bauschutt; MüKoUWG/Fritzsche, 3.
Aufl. 2022, UWG § 8 Rn. 136 m.w.N.; Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler/Feddersen, 41. Aufl.
2023, UWG § 12 Rn. 5.4a). Insbesondere ist auf Suchmaschinenbetreiber hinzuwirken, da deren
Cache häufig Beiträge im Internet noch verfügbar hält, die auf der Originalseite bereits seit längerem gelöscht worden sind (OLG Köln, GRUR-RR 2020, 276 Rn. 43 m.w.N.). Denn bei einer Dauerhandlung – hier: auf der Homepage vorgehaltene Inhalte – ist die Nichtbeseitigung des Verletzungszustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung (BGH, GRUR 2015, 258 Rn. 64 – CT-Paradies). Dementsprechend musste die Beklagte sowohl ihre Homepage anpassen als auch auf Suchmaschinenbetreiber einwirken.
Beides ist indes unstreitig und mit Erfolg geschehen. Die fragliche Werbung findet sich nicht mehr auf der Homepage und wird auch bei einer Google-Suche oder mittels sonstiger Suchmaschinen nicht gefunden. Mit dem Anbieter der Wayback Machine musste die Beklagte schon deswegen nicht in Kontakt treten, weil die bloße Auffindbarkeit einer dortigen Archivierung, wie dargelegt, schon nicht den Charakter einer geschäftlichen Handlung der Unterlassungsschuldnerin trägt. Die bloße Auffindbarkeit früherer Werbung hätte also schon ursprünglich nicht verboten werden können, so dass sich etwaige Beseitigungspflichten der Beklagten auch nicht auf diese Internetquelle erstreckten.

Das vollständige Urteil ist hier abrufbar. Der Kollege Plutte hat es auf seiner Webseite.

Insgesamt überzeugt das vorliegende Urteil im Berich des Wettbewerbsrechts. Ob es auf Schutzrechte, so etwa Marken, Patente oder Urheberrechte, anzuwenden ist, ist fraglich, wird dort gerade keine wettbewerbsrechtliche Handlung verlangt. Es kommt allein auf die Handlung an.